Behinderung > Berufsleben

1. Das Wichtigste in Kürze

Arbeitnehmende mit (Schwer-)Behinderungen werden durch verschiedene Maßnahmen und Nachteilsausgleiche (z.B. Arbeitsassistenz, Zusatzurlaub oder Zuschüsse für Betriebe) darin unterstützt, dass sie sich im Berufsleben halten oder wieder eingliedern können. Besonderer Kündigungsschutz gilt bei einer Schwerbehinderung oder Gleichstellung mit einer Schwerbehinderung.

2. Hilfen zum Erlangen oder Erhalten eines Arbeitsplatzes

Mit einer anerkannten Schwerbehinderung können folgende Leistungen beantragt werden, die dabei unterstützen, einen Arbeitsplatz zu erlangen oder zu erhalten:

  • Arbeitsassistenz unterstützt Menschen mit Schwerbehinderung bei der Arbeit, z.B. durch Gebärdensprachedolmetschen, Vorlesen oder Transkribieren von Texten für Blinde oder Anreichen von Gegenständen für Menschen im Rollstuhl.
  • Integrationsfachdienste beraten und unterstützen bei der Arbeitssuche und helfen dabei, den Arbeitsplatz von Menschen mit Behinderungen zu erhalten.
  • Ausbildungsgeld finanziert Menschen mit Behinderungen den Lebensunterhalt bei behinderungsspezifischen beruflichen Bildungsmaßnahmen.
  • Unterstützte Beschäftigung bietet individuelle betriebliche Qualifizierung und Berufsbegleitung finanziert von der Agentur für Arbeit und dem Integrations- oder Inklusionsamt.
  • Einen Beschäftigungssicherungszuschuss können Betriebe beim Integrations- oder Inklusionsamt beantragen, die eine Person mit Schwerbehinderung beschäftigen, die nicht die volle Arbeitsleistung bringen kann (Minderleistungsausgleich), bei der Arbeit Unterstützung von anderen Menschen braucht und/oder für die der Arbeitsplatz behinderungsgerecht gestaltet werden muss.
  • Das Budget für Arbeit soll Menschen mit Behinderungen eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglichen. Es beinhaltet einen Lohnkostenzuschuss für beschäftigende Betriebe und Assistenzleistungen für Menschen mit Behinderungen. Es muss beim zuständigen Reha-Träger beantragt werden und wurde durch das Bundesteilhabegesetzes (BTHG) als Alternative zur Werkstatt für behinderte Menschen eingeführt.
  • Das zum 1.1.2020 eingeführte Budget für Ausbildung soll Menschen mit Behinderungen eine Ausbildung bei einem privaten oder öffentlichen Ausbildungsbetrieb ermöglichen. Es beinhaltet die Erstattung der Ausbildungsvergütung sowie eine Anleitung und Begleitung am Ausbildungsplatz. Es muss beim zuständigen Reha-Träger beantragt werden und ist als Alternative zum Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen gedacht.
  • Das Integrations- oder Inklusionsamt kann Darlehen und Zuschüsse für eine Arbeitsassistenz oder behinderungsgerechte Ausstattung auch für eine Existenzgründung oder zum Weiterführen eines Unternehmens zahlen.

Folgende Links bieten weitere Informationen zu Leistungen für Menschen mit Behinderungen im Arbeitsleben:

3. Schutz und Nachteilsausgleiche am Arbeitsplatz

3.1. Kündigungsschutz

Arbeitnehmende mit Schwerbehinderungen und ihnen Gleichgestellte (siehe unten) haben einen besonderen Kündigungsschutz. Ihnen darf nur mit vorheriger Zustimmung des Integrations- oder Inklusionsamts gekündigt werden. Die Zustimmung kann nicht nachträglich eingeholt werden, sondern muss vor der Kündigung schriftlich oder elektronisch vom Arbeitgeber beantragt werden. Der besondere Kündigungsschutz ist unabhängig von der Anzahl der im Betrieb Beschäftigten.

Zudem müssen bei der Kündigung einer Person mit Schwerbehinderung oder Gleichstellung ggf. die Schwerbehindertenvertretung und der Betriebsrat beteiligt werden.

Bei einer Kündigung ohne Zustimmung des Integrations- oder Inklusionsamts ist innerhalb von 3 Wochen eine Kündigungsschutzklage möglich. Wird die Kündigung als rechtswidrig anerkannt, besteht das Arbeitsverhältnis weiterhin fort. Wer die Frist für die Kündigungsschutzklage versäumt, verliert den Arbeitsplatz aber auch dann, wenn die Kündigung unrechtmäßig war.

Die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ist z.B. zustimmungsfrei, wenn

  • die beschäftigte Person mit Schwerbehinderung selbst kündigt.
  • die Frist eines befristeten Arbeitsverhältnisses abläuft.
  • die beschäftigte Person mit Schwerbehinderung einen einvernehmlichen Aufhebungsvertrag mit dem Beschäftigungsbetrieb abschließt.
  • die Kündigung in der Probezeit ausgesprochen wird.
  • die beschäftigte Person mit Schwerbehinderung das 58. Lebensjahr vollendet hat und ein Anspruch auf Entschädigung, Abfindung oder ähnliche Leistung im Rahmen eines Sozialplans besteht.

Das Integrations- oder Inklusionsamt wägt vor einer Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung das Interesse der beschäftigten Person mit Schwerbehinderung oder Gleichstellung am Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses mit dem des Beschäftigungsbetriebs an einer wirtschaftlichen Ausnutzung des Arbeitsplatzes gegeneinander ab und sucht nach Unterstützungsmöglichkeiten. Möglich ist z.B.:

  • Ausstattung des Arbeitsplatzes mit Hilfsmitteln
  • Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz
  • Arbeitsassistenz
  • Finanzielle Unterstützung

Sind die erforderlichen Unterstützungen für den Beschäftigungsbetrieb zumutbar, ist er zur Durchführung verpflichtet. Eine Kündigung kann so häufig vermieden werden.

3.2. Praxistipp: Kündigungsschutz ohne GdB-Feststellung

Wenn bei Ihnen bei einer Kündigung (noch) kein Grad der Behinderung (GdB) festgestellt wurde, kann sich trotzdem eine Kündigungsschutzklage lohnen, wenn Sie beweisen können, dass Sie bei der Kündigung eine offenkundige Schwerbehinderung hatten. Eine leichtere offenkundige Behinderung reicht dagegen nicht aus, sondern zählt nur mit einem Gleichstellungsbescheid der Agentur für Arbeit, siehe unten.

3.3. Zusatzurlaub

Arbeitnehmende mit Schwerbehinderung, also mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 und mehr, haben Anspruch auf zusätzlichen bezahlten Urlaub von in der Regel einer Arbeitswoche. Im Allgemeinen sind dies 5 zusätzliche Tage pro Jahr. Bei Arbeitskräften, die regelmäßig mehr oder weniger als 5 Tage pro Woche arbeiten, erhöht oder vermindert sich der Zusatzurlaub entsprechend. Bei einer Teilzeitbeschäftigung ist ebenfalls die Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage maßgeblich für die Dauer des Zusatzurlaubs. Der Anspruch auf Zusatzurlaub entsteht ab dem Zeitpunkt, ab dem das Versorgungsamt die Schwerbehinderung feststellt.

Den Anspruch auf Zusatzurlaub müssen Beschäftigte am besten schriftlich unter Vorlage einer Kopie des Schwerbehindertenausweises geltend machen.

3.3.1. Anteiliger Zusatzurlaub

Für jeden vollen Monat, in dem die Schwerbehinderteneigenschaft im Arbeitsverhältnis besteht, haben Beschäftigte Anspruch auf 1/12 des Zusatzurlaubs. Ergibt die Berechnung Bruchteile von mindestens einem halben Urlaubstag, werden diese auf ganze Tage aufgerundet. Bei vorzeitigem Ausscheiden der Person mit Schwerbehinderung aus dem Beschäftigungsverhältnis gelten die Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes. Wird das Arbeitsverhältnis in der ersten Jahreshälfte beendet, wird der Zusatzurlaub gezwölftelt. Bei einem Ausscheiden in der zweiten Jahreshälfte besteht der volle Anspruch auf den Zusatzurlaub. Verliert die beschäftigte Person mit Schwerbehinderung ihren Schwerbehindertenstatus durch die Herabstufung ihres GdB auf weniger als 50, hat sie noch mindestens 3 weitere Monate Anspruch auf Zusatzurlaub (Schutzfrist). Maßgebend ist das Datum des Herabstufungsbescheids.

3.4. Praxistipp

Arbeitnehmende mit Schwerbehinderung oder Gleichstellung sind auf ihr Verlangen von Mehrarbeit freizustellen. Ausführliche Informationen bietet die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) unter www.bih.de > Inhaltsverzeichnis > Medien und Publikationen > Fachlexikon A-Z > M > Mehrarbeit.

4. Gleichstellung mit einer Schwerbehinderung

Einige Rechte von Menschen mit Schwerbehinderungen gelten auch für Menschen mit leichteren Behinderungen, wenn diese von der Agentur für Arbeit Menschen mit Schwerbehinderungen gleichgestellt wurden.

Gleichgestellte genießen wie Menschen mit Schwerbehinderungen einen besonderen Kündigungsschutz.

Voraussetzungen für eine Gleichstellung:

  • GdB ab 30, aber unter 50
    und
  • Wohnsitz, gewöhnlicher Aufenthalt oder Arbeitsplatz rechtmäßig in Deutschland
    und
  • als Folge der Behinderung ist es unmöglich, einen geeigneten Arbeitsplatz ohne die Gleichstellung zu erlangen oder zu behalten

Auch was als Arbeitsplatz gilt, ist genau geregelt. Als Arbeitsplatz gelten in diesem Zusammenhang Stellen, auf denen folgende Personen beschäftigt werden:

  • Arbeitnehmende
  • Beamte
  • Richter
  • Auszubildende
  • Andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte

 

Nicht als Arbeitsplätze gelten folgende Stellen:

  • Stellen in Betrieben oder Dienststellen, deren Grundlage Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderungen sind, wenn sie berufliche Weiterbildung oder Anpassung und/oder Leistungen für einen erforderlichen Schulabschluss beinhalten
  • Stellen, bei denen karitative oder religiöse Beweggründe und nicht der Gelderwerb im Vordergrund stehen
  • Stellen für Geistliche öffentlich-rechtlicher Religionsgemeinschaften
  • Stellen, bei denen Heilung, Wiedereingewöhnung oder Erziehung als Zweck überwiegen und nicht der Gelderwerb
  • Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen von der Agentur für Arbeit
  • Stellen, bei denen die Inhaber der Stelle üblicherweise gewählt werden (z.B. Bundestagsabgeordnete, Vereinsvorstände, gewählte Aufsichtsräte)
  • Ruhende Arbeitsverhältnisse bei Wehr- oder Zivildienst, Elternzeit, unbezahltem Urlaub, Bezug einer Rente oder bei Altersteilzeit, wenn eine Vertretung eingestellt ist
  • Stellen, die auf höchstens 8 Wochen begrenzt sind
  • Teilzeitstellen mit weniger als 18 Wochenstunden

4.1. Unterschiede zwischen Gleichstellung und Schwerbehinderung

Gleichgestellte haben im Gegensatz zu Menschen mit Schwerbehinderungen keinen Anspruch auf Zusatzurlaub und vorgezogene Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Die Gleichstellung gilt ausschließlich fürs Arbeitsleben, das heißt Gleichgestellte bekommen z.B. keinen Schwerbehindertenausweis.

4.2. Jugendliche

Für Jugendliche ab dem 14. Geburtstag und junge Erwachsene vor dem 27. Geburtstag gelten spezielle Regelungen: Sie können während einer Berufsausbildung oder einem Praktikum bzw. einer anderen Maßnahme zur Berufsorientierung auch dann Menschen mit Schwerbehinderungen gleichgestellt werden, wenn ihr GdB unter 30 liegt. Weitere Informationen bietet die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) unter www.bih.de > Inhaltsverzeichnis > Medien und Publikationen > Fachlexikon A-Z > G > Gleichstellung.

4.3. Praxistipps

  • Ihre Gleichstellung können Sie bei der Agentur für Arbeit unter Vorlage des Feststellungsbescheids des Versorgungsamts beantragen. Die Gleichstellung wird mit dem Tag der Antragstellung wirksam und kann befristet werden. Ihr Arbeitgeber wird von der Agentur für Arbeit nicht über die Gleichstellung informiert.
  • Sie können Ihre Gleichstellung auch online unter www.arbeitsagentur.de > Suchbegriff: „Gleichstellungsantrag“ beantragen.

5. Steuerliche Vergünstigungen

Ab einem GdB von 20 können Steuerpflichtige den Pauschbetrag bei Behinderung als Steuerfreibetrag bei der Einkommensteuer geltend machen.

Informationen zu weiteren steuerlichen Vergünstigungen bei Behinderung bzw. Schwerbehinderung unter Behinderung > Steuererleichterungen und Kraftfahrzeugsteuer-Ermäßigung bei Schwerbehinderung.

6. Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderungen

6.1. Pflichtarbeitsplätze und Ausgleichsabgabe

Betriebe mit mindestens 20 Arbeitsplätzen sind verpflichtet, wenigstens 5 % der Plätze an Menschen mit Schwerbehinderungen oder Gleichstellung zu vergeben. Bei einer besonders schwierigen Eingliederung und bei Auszubildenden mit Behinderungen kann die Agentur für Arbeit auch 2 Pflichtarbeitsplätze anrechnen. Dies ist auch für die ersten 2 Jahre der Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung möglich, wenn diese unmittelbar vorher in einer Werkstatt für behinderte Menschen oder bei einem anderen Leistungsanbieter (Näheres unter Alternativen zu Werkstätten für behinderte Menschen) beschäftigt waren oder ein Budget für Arbeit erhalten.
Für jeden nicht besetzten Pflichtarbeitsplatz müssen Ausgleichsabgaben von bis zu 720 € monatlich gezahlt werden. Für Betriebe mit weniger als 60 Arbeitsplätzen gibt es Sonderregelungen.

6.2. Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)

Arbeitgeber müssen jeder beschäftigten Person, die schon länger als 6 Wochen krankgeschrieben ist, ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anbieten, sonst wird es für sie später sehr schwer, eine krankheitsbedingte Kündigung durchzusetzen. Das BEM ist ein Verfahren, bei dem nach Möglichkeiten gesucht wird, wie weitere Krankschreibungen vermieden werden könnten, z.B. durch Veränderungen am Arbeitsplatz und Hilfen. In diesem Rahmen können die Beschäftigten freiwillig und ggf. zusammen mit der betrieblichen Interessenvertretung und/oder der Schwerbehindertenvertretung Möglichkeiten zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit, zur Vorbeugung erneuter Arbeitsunfähigkeit und zum Erhalt des Arbeitsplatzes erarbeiten.

6.2.1. Praxistipps

  • Informationen zur betrieblichen Eingliederung gibt die kostenlose Broschüre "Schritt für Schritt zurück in den Job" des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Bestellung und kostenloser Download unter www.bmas.de > Suchbegriff: "A748".
  • Das Projekt BEMpsy der gemeinnützigen Gesellschaft für Arbeitsfähigkeit und Wohlbefinden mbH (GAW) und der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) bietet Informationen, Erfahrungsberichte und Hilfsangebote rund um BEM unter www.bempsy.de > Beschäftigte. Der Schwerpunkt des Projekts liegt auf der Eingliederung und Unterstützung von Beschäftigten mit psychischen Beeinträchtigungen (z.B. Burnout, Depressionen, ADHS). Außerdem gibt es ein Angebot für Menschen mit Long Covid.
  • Finanzielle Fördermöglichkeiten für beschäftigende Betriebe und Beschäftigte sind unter www.talentplus.de > Förderung einsehbar.

7. Wer hilft weiter?

Die Leistungen werden von verschiedenen Trägern übernommen, meist von der Agentur für Arbeit, vom Rentenversicherungsträger oder dem Unfallversicherungsträger (z.B. der Berufsgenossenschaft, abgekürzt BG). Erster Ansprechpartner ist oft das Integrations- oder Inklusionsamt oder der Integrationsfachdienst. Zudem können die Agentur für Arbeit oder der Behindertenbeauftragte bzw. die Personalverwaltung des Betriebs weiterhelfen.

8. Verwandte Links

Alternativen zu Werkstätten für behinderte Menschen

Arbeitsassistenz

Behinderung

Behinderung > Hilfen am Arbeitsplatz

Nachteilsausgleiche bei Behinderung

Inklusionsbetriebe

Krankheitsbedingte Kündigung

Unterstützte Beschäftigung

Behinderung > Hilfe - Beratung - Adressen

 

Rechtsgrundlagen: SGB IX

Letzte Bearbeitung: 21.08.2024

{}Behinderung > Berufsleben{/}{}{/}